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Fünf Jahre nach dem Mord an Walter Lübcke – Verlorene Zeit für Konsequenzen aus einem politischen Mord

Interview mit Torsten Felstehausen: Fünf Jahre nach dem Mord an Walter Lübcke – Verlorene Zeit für Konsequenzen aus einem politischen Mord

 

Silvia Hable: Herr Felstehausen, fünf Jahre nach dem Mord an Dr. Walter Lübcke wird dessen Todestag zum "Fest der Demokratie" umgedeutet. Was halten Sie davon?
Felstehausen: Die Idee, die Demokratie zu feiern und zu stärken, ist grundsätzlich richtig und notwendig, gerade in Zeiten, in denen die AfD Wahlerfolge verzeichnet. Allerdings ist es beschämend, dass die Bundes- und Landespolitik weiterhin im Kampf gegen militant-rechte Strukturen versagt.

Silvia Hable: Was sind die zentralen Versäumnisse der Politik in den letzten fünf Jahren?
Felstehausen: Nach dem schrecklichen Mord an Walter Lübcke gab es einen dreijährigen Untersuchungsausschuss im Hessischen Landtag, der die Hintergründe und Versäumnisse des hessischen Verfassungsschutzes und der Strafverfolgungsbehörden aufarbeiten sollte. Die Fraktion DIE LINKE hat in ihrem Sondervotum zum Abschlussbericht eine Reihe von Konsequenzen gefordert, doch kaum eine dieser Forderungen wurde bisher aufgegriffen oder umgesetzt. Dies ist eine verlorene Zeit für notwendige Maßnahmen gegen rechten Terror und Gewalt.

Silvia Hable: Welche konkreten Forderungen hat DIE LINKE gestellt, die bisher nicht umgesetzt wurden?
Felstehausen: Besonders wichtig ist uns die deutliche Reduzierung des legalen und illegalen Waffenbesitzes. Wir fordern, dass Inhaber*innen von waffenrechtlichen Erlaubnissen zwingend ein fachpsychologisches Attest vorlegen müssen. Menschen mit mangelnder Impulskontrolle oder gravierenden psychischen Störungen könnte so der Zugang zu Schusswaffen untersagt werden. Ebenso haben wir eine lückenlose Endverbleibskontrolle für alle Waffen gefordert, um Vertriebs- und Handelswege nachvollziehen zu können. Leider sind auch diese Forderungen bisher nicht umgesetzt worden.

Silvia Hable: Warum sollte der Verfassungsschutz Ihrer Meinung nach aufgelöst werden?
Felstehausen: Eine notwendige Zäsur beim hessischen Verfassungsschutz, seine radikale personelle Neuorientierung, sein organisatorischer Umbau, die Überprüfung seiner internen Prozesse sowie eine rigorose parlamentarische Kontrolle, all das ist ausgeblieben. Diese Punkte hätten auf dem Verhandlungstisch bei den Koalitionsverhandlungen liegen müssen. Aber dieser Verfassungsschutz ist nicht reformierbar. Statt, wie von der LINKE geforderte Informations- und Dokumentationsstelle für Menschrechte, Grundrechte und Demokratie als Ersatz für den sogenannten Verfassungsschutz aufzubauen, ist lediglich die kümmerliche Ankündigung zur Einrichtung einer Landesstiftung für Demokratie, Aufklärung und politische Bildung über geblieben, die im Übrigen noch 2019 von der CDU und den Grünen abgelehnt worden war. Kurzum: Auch mit der Koalition aus CDU und SPD wird es, das vermittelt die politische Ausgangslage, in Hessen keinen Neuanfang bei der nachrichtendienstlichen und polizeilichen Bekämpfung des Rechtsradikalismus geben.

Silvia Hable: Welche Unterstützung sollten die Opfer rechter Gewalt Ihrer Meinung nach erhalten?
Felstehausen: Die Opfer rechter Gewalt müssen ernst genommen und unterstützt werden. Unsere Forderung, den Opfern rechter Gewalt zu helfen, verhallte bisher im politischen Raum Wiesbadens ohne Konsequenzen. Es ist unerträglich, dass sich an diesem Tag die „Freunde der Demokratie“ selbst feiern, vor „jeder Form des Extremismus“ warnen und dann wieder zur Tagesordnung übergehen, die alten und neuen Nazis weiter Raum gibt, Hass und Hetze zu verbreiten und Pläne zu schmieden.

Silvia Hable: Wie könnte die Gesellschaft effektiver gegen rechte Gewalt und Hetze vorgehen?
Felstehausen: Wir brauchen ein klares Bekenntnis und konkrete Maßnahmen gegen Rechts. Dazu gehört auch, dass Antifaschismus nicht weiter kriminalisiert wird. Die Demokratie muss aktiv verteidigt werden, indem wir rechte Strukturen zerschlagen, deren Finanzen austrocknen und ihre Netzwerke aufdecken. Gleichzeitig müssen wir die Prävention und Aufklärung verstärken, um zu verhindern, dass junge Menschen in rechte Kreise abgleiten. Nur so können wir verhindern, dass sich tragische Ereignisse wie der Mord an Walter Lübcke wiederholen.

Silvia Hable: Es gibt Stimmen, die behaupten, dass die Maßnahmen gegen Rechtsradikalismus nicht konsequent genug seien und oft auch gegen Linksradikalismus gerichtet sind. Was sagen Sie dazu?
Felstehausen: Das ist leider eine traurige Wahrheit. Der hessische Koalitionsvertrag stellt die Bekämpfung des allgemeinen Extremismus als Antwort auf die rechtsradikalen Morde heraus, was letztlich dazu führt, dass sowohl Rechts- als auch vermeintliche Linksextremisten gleich behandelt werden. Dies marginalisiert den Rechtsradikalismus und nimmt gleichzeitig die Linke ins Visier. Dabei wird großzügig darüber hinweg gesehen, dass der Mord an Walter Lübcke von einem Rechtsradikalen verübt wurde. Diese Gleichsetzung und das Ignorieren der spezifischen Bedrohung durch Rechtsradikalismus sind fatal und behindern eine effektive Bekämpfung rechter Gewalt.

Silvia Hable: Vielen Dank, Herr Felstehausen, für das Gespräch.
Felstehausen: Vielen Dank Ihnen.

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